Westsachsen/Pirna.- Das Medieninteresse hinsichtlich der am Amtsgericht Pirna seit Wochen anstehenden
Hauptverhandlungen wegen Einschleusens von Ausländern ist ungebrochen hoch.
Wöchentlich finden hier zwei bis sechs Verhandlungen statt.
Aktuell sind 93 Verfahren wegen illegaler Einreise und Einschleusung von Ausländern
anhängig.
Hinzu kommt wegen solcher Verfahren eine Vielzahl von Anträgen (unter anderem
Haftanträge), die von den Ermittlungsrichtern zu bearbeiten sind.
Die 93 Verfahren verteilen sich wie folgt:
30 x Anklagen zum Schöffengericht (darunter 7 x Anklagen zum Jugendschöffengericht)
22 x Anklagen zum Strafrichter
40 x Antrag auf Erlass eines Strafbefehls
01 x sonstiges Verfahren.
Die Verfahren bei den Schöffengerichten und Strafrichtern richten sich vor allem gegen
Schleuser. Die Strafbefehlsverfahren werden primär gegen illegal eingereiste Täter geführt.
Vom 01.01.2023 bis einschließlich 10.11.2023 sind insgesamt 174 Verfahren wegen
Verstoßes gegen das Aufenthaltsgesetz beim Amtsgericht Pirna eingegangen.
Ein besonderer Anstieg ist ab September 2023 bei den erkennenden Richtern zu
verzeichnen, also jenen, die die Hauptverhandlungen durchführen und die Täter aburteilen
müssen.
Bei beiden Schöffengerichten wurden ab September bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt allein
rund 20 Haftsachen angeklagt.
Damit gelangen die Richterinnen und Richter zunehmend an ihre Grenzen. Termine und
Säle werden knapp, auch Protokollanten und Schreibkräfte sind deutlich überlastet.
Mit den bestellten Verteidigern werden kaum noch gemeinsam verfügbare Termine
gefunden. Auch vereidigte Dolmetscher stehen immer weniger zur Verfügung.
Haftverfahren sind besonders eilbedürftig, weil die Hauptverhandlung grundsätzlich
spätestens sechs Monate nach der Festnahme des Täters durchgeführt werden muss.
Ab Juni 2023 wurden zudem die Ermittlungsrichter mit einer deutlich gestiegenen Anzahl von
Verfahren beschäftigt.
So wurden noch im Jahr 2022 von den Ermittlungsrichtern insgesamt 150 Haftanordnungen
getroffen. Seit Januar 2023 bis 11. Oktober 2023 sind es bereits 287. Damit liegt eine
Steigerung fast 100 Prozent vor. Insoweit handelt es sich fast ausschließlich um
»Schleuserverfahren«.
Im Jahr 2023 konnten bisher 74 Verfahren wegen Verstoßes gegen das Aufenthaltsgesetz
abgeschlossen werden.
Mit Eingang der Anklagen für die ab August/ September 2023 festgenommenen
Beschuldigten wird in den nächsten Wochen gerechnet.
Aktuell nehmen die Schleusungen in Transportern mit zwölf bis 25 Personen bzw. in Pkw mit
bis zu 15 Personen deutlich zu.
Auch nimmt die Zahl der sogenannten Fluchtfahrten zu. So kam es bereits dazu, dass ein
Geschleuster bei einer Fluchtfahrt verstarb.
Viele Täter handeln zwischenzeitlich gewerbsmäßig und als Mitglied einer Bande, was eine
Aufklärung der Taten erschwert und zu deutlich längeren Verfahren führt.
Seit September 2023 erkennen die Richterinnen und Richter fast ausschließlich auf
Freiheitsstrafen ohne Bewährung. Dies ist auf die Zunahme schwererer Fälle
zurückzuführen. Auch erfordert die Verteidigung der Rechtsordnung und die
Täterabschreckung - Strafjuristen sprechen insoweit von Spezial- und Generalprävention -
entsprechende Strafen.
In aller Regel wird nur das letzte Glied der Kette, also der Fahrer gestellt.
Einige Organisatoren konnten allerdings bisher ebenfalls festgenommen und verurteilt
werden.
Insbesondere nach Erlass eines europäischen Haftbefehls konnten Hintermänner aus
Ungarn, Tschechische Republik oder der Slowakei, Griechenland und anderen EU-Staaten
der deutschen Strafjustiz zugeleitet werden.
Die Täter kommen dabei zunehmend aus der Ukraine, der Tschechischen Republik, der
Slowakei, Rumänien und Polen. Ihr Alter nimmt ab. Zwischenzeitlich werden auch
Jugendliche und Heranwachsende aufgegriffen.
Seit rund neun Monaten sind auch eine Vielzahl Syrer, die selbst Asylbewerber sind und in
Deutschland leben, als Täter aufgefallen.
Gründe hierfür sind vor allem das »schnell verdiente Geld«, die Suche nach Arbeit und das
Ziel, Landsleute nach Deutschland nachzuholen.
Die Hintermänner sitzen in der Regel in der Türkei oder Griechenland, von dort wird in aller
Regel auch das Schleuserentgelt gezahlt, was die Familien der Geschleusten häufig in
einem Büro hinterlegt haben.
Die Geschleusten selbst kommen überwiegend aus Syrien, der Türkei, dem Irak oder
Afghanistan.
Anders als die Bundespolizei, deren Personal zur Durchführung der Grenzkontrollen massiv
aufgestockt wurde, wurde dem Amtsgericht Pirna bisher lediglich ein weiterer Richter
zugewiesen.
Damit bearbeiten derzeit fünf Kolleginnen und Kollegen (allerdings neben anderen Verfahren)
die Schleusungssachen.
Um den Arbeitsanfall zu bewältigen, wurde ein weiteres Schöffengericht gebildet und ein
weiterer Richter mit einem Teil seiner Arbeitskraft als Ermittlungsrichter bestellt.
Die Verfahren verursachen auch erhebliche Kosten.
Neben der Dolmetschervergütung in Höhe von 1000 bis 2000 Euro (wenn Telefonchats
ausgewertet werden und Telefonate übersetzt werden müssen, kommen auch gelegentlich
mehrere 1.000 Euro hinzu) fallen in der Regel Verteidigerkosten in Höhe von rund 1.500 Euro an.
Die Haftkosten pro Tag betragen pro Häftling rund 160 Euro. Hinzu kommen noch die
Gerichtskosten.
Als problematisch erweist sich für die Richterinnen und Richter zudem, dass die Urteile in
aller Regel entweder von der Staatsanwaltschaft oder den Verteidigern angefochten werden.
Dies liegt daran, dass in der gleichen Sache von den Verteidigern Freiheitsstrafen von
maximal zwei Jahren beantragt werden, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt
werden soll, während die Staatsanwaltschaft Freiheitsstrafen über drei Jahre beantragt.
Sowohl die Grenzkontrollen, als auch die verhängten Freiheitsstrafen zeigen Wirkung. Seit
ca. zwei Wochen wurden deutlich weniger Täter gestellt.
Quelle und Foto: Amtsgericht Pirna