Seiten

15 November 2023

Wegen Einschleusens von Ausländern: 93 Verfahren in Pirna anhängig

Westsachsen/Pirna.- Das Medieninteresse hinsichtlich der am Amtsgericht Pirna seit Wochen anstehenden Hauptverhandlungen wegen Einschleusens von Ausländern ist ungebrochen hoch. Wöchentlich finden hier zwei bis sechs Verhandlungen statt. Aktuell sind 93 Verfahren wegen illegaler Einreise und Einschleusung von Ausländern anhängig.
Hinzu kommt wegen solcher Verfahren eine Vielzahl von Anträgen (unter anderem Haftanträge), die von den Ermittlungsrichtern zu bearbeiten sind. Die 93 Verfahren verteilen sich wie folgt: 30 x Anklagen zum Schöffengericht (darunter 7 x Anklagen zum Jugendschöffengericht) 22 x Anklagen zum Strafrichter 40 x Antrag auf Erlass eines Strafbefehls 01 x sonstiges Verfahren.
Die Verfahren bei den Schöffengerichten und Strafrichtern richten sich vor allem gegen Schleuser. Die Strafbefehlsverfahren werden primär gegen illegal eingereiste Täter geführt. Vom 01.01.2023 bis einschließlich 10.11.2023 sind insgesamt 174 Verfahren wegen Verstoßes gegen das Aufenthaltsgesetz beim Amtsgericht Pirna eingegangen. Ein besonderer Anstieg ist ab September 2023 bei den erkennenden Richtern zu verzeichnen, also jenen, die die Hauptverhandlungen durchführen und die Täter aburteilen müssen. Bei beiden Schöffengerichten wurden ab September bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt allein rund 20 Haftsachen angeklagt.
Damit gelangen die Richterinnen und Richter zunehmend an ihre Grenzen. Termine und Säle werden knapp, auch Protokollanten und Schreibkräfte sind deutlich überlastet. Mit den bestellten Verteidigern werden kaum noch gemeinsam verfügbare Termine gefunden. Auch vereidigte Dolmetscher stehen immer weniger zur Verfügung. Haftverfahren sind besonders eilbedürftig, weil die Hauptverhandlung grundsätzlich spätestens sechs Monate nach der Festnahme des Täters durchgeführt werden muss. Ab Juni 2023 wurden zudem die Ermittlungsrichter mit einer deutlich gestiegenen Anzahl von Verfahren beschäftigt.
So wurden noch im Jahr 2022 von den Ermittlungsrichtern insgesamt 150 Haftanordnungen getroffen. Seit Januar 2023 bis 11. Oktober 2023 sind es bereits 287. Damit liegt eine Steigerung fast 100 Prozent vor. Insoweit handelt es sich fast ausschließlich um »Schleuserverfahren«. Im Jahr 2023 konnten bisher 74 Verfahren wegen Verstoßes gegen das Aufenthaltsgesetz abgeschlossen werden. Mit Eingang der Anklagen für die ab August/ September 2023 festgenommenen Beschuldigten wird in den nächsten Wochen gerechnet. Aktuell nehmen die Schleusungen in Transportern mit zwölf bis 25 Personen bzw. in Pkw mit bis zu 15 Personen deutlich zu.
Auch nimmt die Zahl der sogenannten Fluchtfahrten zu. So kam es bereits dazu, dass ein Geschleuster bei einer Fluchtfahrt verstarb. Viele Täter handeln zwischenzeitlich gewerbsmäßig und als Mitglied einer Bande, was eine Aufklärung der Taten erschwert und zu deutlich längeren Verfahren führt. Seit September 2023 erkennen die Richterinnen und Richter fast ausschließlich auf Freiheitsstrafen ohne Bewährung. Dies ist auf die Zunahme schwererer Fälle zurückzuführen. Auch erfordert die Verteidigung der Rechtsordnung und die Täterabschreckung - Strafjuristen sprechen insoweit von Spezial- und Generalprävention - entsprechende Strafen. In aller Regel wird nur das letzte Glied der Kette, also der Fahrer gestellt.
Einige Organisatoren konnten allerdings bisher ebenfalls festgenommen und verurteilt werden. Insbesondere nach Erlass eines europäischen Haftbefehls konnten Hintermänner aus Ungarn, Tschechische Republik oder der Slowakei, Griechenland und anderen EU-Staaten der deutschen Strafjustiz zugeleitet werden. Die Täter kommen dabei zunehmend aus der Ukraine, der Tschechischen Republik, der Slowakei, Rumänien und Polen. Ihr Alter nimmt ab. Zwischenzeitlich werden auch Jugendliche und Heranwachsende aufgegriffen. Seit rund neun Monaten sind auch eine Vielzahl Syrer, die selbst Asylbewerber sind und in Deutschland leben, als Täter aufgefallen. Gründe hierfür sind vor allem das »schnell verdiente Geld«, die Suche nach Arbeit und das Ziel, Landsleute nach Deutschland nachzuholen. Die Hintermänner sitzen in der Regel in der Türkei oder Griechenland, von dort wird in aller Regel auch das Schleuserentgelt gezahlt, was die Familien der Geschleusten häufig in einem Büro hinterlegt haben. Die Geschleusten selbst kommen überwiegend aus Syrien, der Türkei, dem Irak oder Afghanistan. Anders als die Bundespolizei, deren Personal zur Durchführung der Grenzkontrollen massiv aufgestockt wurde, wurde dem Amtsgericht Pirna bisher lediglich ein weiterer Richter zugewiesen. Damit bearbeiten derzeit fünf Kolleginnen und Kollegen (allerdings neben anderen Verfahren) die Schleusungssachen.
Um den Arbeitsanfall zu bewältigen, wurde ein weiteres Schöffengericht gebildet und ein weiterer Richter mit einem Teil seiner Arbeitskraft als Ermittlungsrichter bestellt. Die Verfahren verursachen auch erhebliche Kosten. Neben der Dolmetschervergütung in Höhe von 1000 bis 2000 Euro (wenn Telefonchats ausgewertet werden und Telefonate übersetzt werden müssen, kommen auch gelegentlich mehrere 1.000 Euro hinzu) fallen in der Regel Verteidigerkosten in Höhe von rund 1.500 Euro an. Die Haftkosten pro Tag betragen pro Häftling rund 160 Euro. Hinzu kommen noch die Gerichtskosten.
Als problematisch erweist sich für die Richterinnen und Richter zudem, dass die Urteile in aller Regel entweder von der Staatsanwaltschaft oder den Verteidigern angefochten werden. Dies liegt daran, dass in der gleichen Sache von den Verteidigern Freiheitsstrafen von maximal zwei Jahren beantragt werden, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt werden soll, während die Staatsanwaltschaft Freiheitsstrafen über drei Jahre beantragt. Sowohl die Grenzkontrollen, als auch die verhängten Freiheitsstrafen zeigen Wirkung. Seit ca. zwei Wochen wurden deutlich weniger Täter gestellt.
Quelle und Foto: Amtsgericht Pirna